Vom Fleischer zum Caterer
Franz Többen aus dem emsländischen Lorup führt keine klassische Metzgerei. Den überwiegenden Teil seines Geschäfts macht er mit großen Cateringaufträgen.
Die Straße „Herrenhausen“ im emsländischen Örtchen Lorup ist keine Einkaufsstraße. Entlang des Kopfsteinpflasters stehen Einfamilienhäuser. Einzelhandel? Fehlanzeige. Laufkundschaft? Woher denn, fernab der Hauptverkehrsstraße. Spielplatz statt Parkplatz. Doch inmitten dieser ruhigen Wohngegend gibt es noch einen Laden: die Fleischerei Többen. Als der Großvater das Geschäft 1934 gründete, war es hier belebter. Es war die Handwerkermeile des Orts. Bäcker, Elektriker, Gärtner, Schuster, Schreibstube – alles da.
Im Lauf der Jahrzehnte änderten sich Verkehrswege und Konsumverhalten. Die nächste Metzgerei liegt heute zehn Kilometer entfernt. Zum Einkaufen fahren die Leute in die Supermärkte. Übrig geblieben ist nur die Fleischerei, geführt in dritter Generation von Franz Többen und seiner Frau Ulrike. „Der Laden ist nur das Aushängeschild für unser Kerngeschäft“, sagt der 53-Jährige. Was er damit meint, verdeutlicht der Besuch der ersten Kundin. Sie kommt nicht, um ein paar Scheiben Wurst zu kaufen, sondern um ihre Essenswünsche für die Hochzeit zu besprechen. Dank des Auftrages werden die Többens statt nur einer Kundin gleich 100 Personen auf einmal satt machen. Bis zu 500 Gäste kann das Fleischerpaar mit seinem Partyservice bewirten.
Regelmäßig gefragt sind ihre Dienste, wenn der Fußballverein SV Meppen spielt. Die Többens versorgen als Mannschaftsköche sowohl die Damen in der ersten Liga als auch die Herren in der dritten. Bei Heimspielen kommen die VIP-Logen hinzu. 15.000 Essen im Jahr bestellt allein der Kreissportbund Emsland. 15 Angestellte servieren als Bedienkräfte im Auftrag der Többens bei Spielen, Seminaren, Hochzeiten und anderen Festivitäten.
Wenn diese anstehen, ist Organisation gefragt. „Es ist ja nicht nur, dass wir Essen irgendwo hinschieben, wir treiben ziemlichen Aufwand“, sagt Franz Többen. Viele verschiedene Speisen seien auf den Punkt vorzubereiten. Für ein Brautpaar schnitzen sie schon mal Tauben aus Kohlrabi. Dabei begann alles mit einem Koteletthacker. „Mit dem habe ich Spießbraten geschnitten“, sagt er. Das war noch in Zeiten, als der Partyservice von Fleischereien wenig ausgefeilt war und vor allem aus „Spießbraten und Salat aus dem Eimer“ bestand. Das Sortiment ist heute nicht mehr vergleichbar, es reicht bis hin zu vegetarischen und selbst veganen Angeboten.
Viel Partyservice heißt viel schmutziges Geschirr. Wo früher die Schlachtung war, arbeitet sich der Betrieb jetzt Stück für Stück in Richtung Großküche.
Spezialitäten aus dem Fachgeschäft – und aus der Region: Többen bietet Dry-Aged-Fleisch (links) ebenso an wie heimische Spirituosen (rechts).
Ehrgeizige Eheleute
Im Laden arbeiten eine Verkäuferin, eine Aushilfe und ein Azubi. Das Sortiment ist bodenständig mit viel Hausmannskost. Doch es gibt sie, die hauseigenen Spezialitäten – wie die luftgetrockneten Mettwürste. Többen stellt sie nach einer Rezeptur her, die sich seit Jahrzehnten bewährt hat. Im Biss sind sie nicht zu weich, nicht zu hart – ein solider Mittelweg. Handwerker schätzen das Imbissangebot. Im Cateringgeschäft herrscht straffe Arbeitsteilung: Er kümmert sich um alles Fleischliche, sie um Süßes, Salate und Gemüse. „Das hat Systemgastronomiecharakter“, sagt er. Bis vor wenigen Jahren schlachtete der Betrieb sogar noch selbst. Das aufzugeben war keine strategische Entscheidung, sondern erst mal eine Trotzreaktion. Der Fleischer erinnert sich an bauliche und bürokratische Anforderungen der Aufsichtsbehörde, die die gewerbliche Schlachtung betrafen.
Die Hausschlachtung dagegen sei unreguliert. Hobbyfleischer, die aus der Garage heraus verkaufen, seien ein Phänomen, das Behörden offenbar tolerierten. Solche Widersprüche regen ihn auf. Er empfand die Auflagen als übertrieben, unvereinbar mit dem Anspruch lokaler Versorgung. „Viele hören deswegen auf“, sagt er. Mit einem Inspekteur des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit konnte er sich nicht einigen und gab seine EU-Zulassung zurück.
Seitdem bezieht er sein Fleisch zerlegt von einem kleinen Schlachthof. Versuche, mehr Bio ins Sortiment zu holen, scheiterten. „Öko und Bio ist ja alles gut und schön, nicht aber, wenn wir es nicht verkaufen können“, sagt Ulrike Többen. Die Bauern im Umfeld wirtschaften meist konventionell, preiswert muss es sein. „Hier ist Geiz auf der Gabel geil“, sagt sie. Angesichts des harten Wettbewerbs war das Paar lange auf der Suche nach einem tragfähigen Geschäftsmodell. Neben dem Catering versuchten sie es mit zwei Filialen an Orten mit mehr Kundenverkehr, darunter in einem Edekamarkt. Die gaben sie aber auf. Franz Többen führt vor allem betriebswirtschaftliche Gründe an, seine Frau ergänzt: „Zu wenige, fähige Mitarbeiter.“
Statt Wurst und Schinken einzukaufen, sucht diese Kundin das Geschäft gezielt deshalb auf, um das Catering für ihre Hochzeit zu besprechen.
Bei den vielen Sportvereinen, die Többen mit frisch gekochtem Essen beliefert, kommen deftige Gerichte besonders gut an.
Engagierte Lehrerin
Zum Fachkräftemangel in der Branche kann sie viel sagen: Als Berufsschullehrerin unterrichtet die 47-Jährige an zweieinhalb Tagen je Woche an der Berufsbildenden Schule Leer. Durch viel Engagement hat sie der dortigen Ernährungsberufeausbildung einen überregional guten Ruf verschaffen. Die eigenen Kinder konnten die beiden nicht dafür gewinnen, die Fleischerei zu übernehmen. Sie helfen gelegentlich beim Servieren. Franz Többen hingegen hat im Berufsleben alles gesehen und gemacht, was ein Fleischer tun kann, „vom Akkordschlachten bis zur Wurstfabrik“. Er kennt also neben den handwerklichen auch die industriellen Ausprägungen des Berufs.
Ebenfalls ging er Seminaren und Messen nicht aus dem Weg. So bekam er Einblicke, was gutes Catering ausmacht. Gar im Urlaub holt er sich Anregungen: „Wir klauen viel mit den Augen.“ Konkurrenz sehen sie im Außer-Haus-Service der Gaststätten. „Die haben während Corona dazugelernt“, sagt Többen, der rund 60 Prozent seines Umsatzes mit dem Catering erzielt. So groß war dann ungefähr auch der Einbruch in den Lockdowns. Bestellt wurde höchstens mal ein Muttertagsessen für wenige Leute. Anders als sonst lieferte Többen an weniger als zehn Personen. „Wir mussten nach diesem Strohhalm greifen.“ Damals waren sie froh, sich nicht komplett vom Laden getrennt zu haben.
Die Frage stand 2018 im Raum, als die alte Theke zu ersetzen war. „Wir überlegten, ob sich das noch lohnt.“ Zu investieren, erwies sich als richtig. „Dank des Verkaufs im Laden kamen wir in der Pandemie über die Runden. Das rettete uns.“ Inzwischen hat sich das Geschäft erholt und läuft so gut wie vor der Krise.
Wo der Nachwuchs ostfriesisches Saltimbocca lernt
Die Ausbildung der Fleischerberufe an der Berufsschule Leer strahlt überregional aus – dank Leidenschaft, Einfallsreichtum und Investitionen.
Die Berufsbildende Schule in Leer setzt in der Fleischerausbildung einen ungewöhnlichen Trend. Während andere Berufsschulen wie die im benachbarten Papenburg und in Aurich ihre Fleischerausbildung einstellen, steigert die Ausbildungsstätte ihre Attraktivität für die Azubis in den Ernährungsberufen „Fleischer/in“ und „Verkäufer/in im Lebensmittelhandwerk mit Schwerpunkt Bäckerei und Fleischerei“. Die Berufsschulen Aurich und Papenburg haben ihre Schüler nach Leer abgegeben. „Von hier bis zur Küste müssen alle zu uns“, sagt Ulrike Többen, die gemeinsam mit ihrem Mann im emsländischen Lorup ein Fleischerfachgeschäft mitsamt Cateringservice betreibt.
Schüler packen mit an
Wer in Ostfriesland den Umgang mit Wurst und Fleisch lernen will, kommt an Leer nicht vorbei. Wie kam es dazu? Das liegt vor allem an engagierten Berufsschullehrern wie Ulrike Többen. Die 47-Jährige bildet Nachwuchs nicht nur aus, sondern sieht ihre Aufgabe ebenso darin, unter Jugendlichen für die Ausbildung zu werben. Achte Klassen kommen dazu für sechs Stunden zum Schnuppern vorbei – und können gleich richtig mit anpacken. Nach der humorvollen Hygieneeinweisung, bei der Frau Többen ihre Besucher auf unpassende Schuhe und Löcher in Hosen anspricht, simulieren diese einen Nahrungsmittelverkauf nah am echten Berufsleben. Sie stellen Snacks her wie Hamburger und servieren sie den Berufsschülern aus der fahrbaren Theke in der Pausenhalle. Am Ende finden manche den Verkaufstag inklusive Vor- und Nachbereitung als anstrengend. „Ich habe aber schon einige in Ausbildung gebracht“, sagt die engagierte Berufsschullehrerin. Diese Tage sind für sie spannend. „Es ist jedes Mal anders.“
Individuelle Förderung inklusive
Sie und ihre beiden Kollegen widmen sich der Fleischer- und Verkäuferausbildung aus Leidenschaft. So rar der Nachwuchs ist, so sorgsam wird er behandelt – gerade wenn es Probleme gibt. „Wir üben solange, bis sie es können.“ Die Durchfallquote an der Schule ist niedrig. Neben dem nötigen Wissen und Fertigkeiten sollen die Jugendlichen lernen: Der Beruf kann Spaß machen und Anstrengung lohnt sich. Deren Ehrgeiz weckt sie durch die Teilnahme der Berufsschüler am Wettbewerb der norddeutschen Berufsschulen im Bereich der Fleischerei, der im Rahmen der „FAG Fach- und Erlebnismesse für Fleischerei und Gastronomie“ in Bremen stattfindet. Viele Berufsschulen machen dabei gar nicht erst mit. Leer hingegen ist von Anfang an dabei, die Berufsschüler räumen regelmäßig Preise ab. Typische Aufgaben sind etwa das Legen einer Aufschnittplatte bis hin zu ausgefallenen Kreationen wie „Saltimbocca nach Ostfriesen-Art“, wofür Schwein statt Kalb und Rucola statt Salbei zum Einsatz kommen. Gemeinsame Erlebnisse wie diese Reise nach Bremen und andere amüsante Episoden landen in den Videos, mit denen sich die Schüler am Ausbildungsende von ihren Lehrkräften verabschieden – woraufhin diese oft Tränen lachen, weiß Ulrike Többen.
Externe Experten mit im Boot
Zur Qualität der Ausbildung in Leer tragen die Kooperationen der Schule mit Betrieben und Innungen bei. Spezialwissen holt sich Ulrike Többen gern von außen. Über Gewürze fürs Grillfleisch informiert etwa ein Experte vom Gewürzhersteller AVO. Die rührige Berufsschullehrerin hat keine Probleme, solche Partner zu finden: „Die sind alle sehr kooperativ.“ Anders als in anderen Berufsschulen gibt es in Leer Unterricht in Fachpraxis, sagt Ulrike Többen. Dafür hat die Berufsschule ihre Lehrfleischerei modernisiert. Die Ausstattung ist auf dem neuesten Stand, erfüllt aktuelle Hygienebestimmungen. Auch das ist ein Signal, dass die Ausbildung in den Fleischerberufen in Leer eine Zukunft hat.
Thilo Großer
Bildernachweis: Reinhard Rosendahl