Eigene Akzente setzen

Nur Schwein im Dry-Aging, dafür die Bratwurst mit besonders viel Rind und ein begeisterter Digitalisierer: Kai Emmerich macht vieles anders. Mit Erfolg.

Rötgesbüttel, eine Gemeinde auf halbem Weg zwischen Braunschweig und Gifhorn. Ein Ort, durch den sich die lebhafte Bundesstraße 4 wie eine Arterie von Nord nach Süd durchschlängelt. Nahezu im Minutentakt scheren immer wieder Fahrzeuge vor einem roten Backsteinhaus aus dem schier endlosen Verkehrsstrom aus. Ihr gemeinsames Ziel: die Fleischerei Emmerich.
So etabliert der familiär geführte Betrieb bei den Anwohnern und Pendlern der Region ist, so modern ist das Ambiente, das die Kundschaft hinter der Eingangstür erwartet. Erst Ende März wurde der Verkaufsbereich nach grundlegender Erneuerung wiedereröffnet. „Vom Estrich bis zur Decke ist alles hier im Laden neu“, berichtet Inhaber Kai Emmerich. Zwar habe sich an der Raumaufteilung nichts Wesentliches verändert, dafür entsprechen die gesamte Einrichtung sowie die Technik nun dem Stand der Zeit. So erfolgt die Kühlung in der Verkaufstheke seither umweltschonender mittels CO2-Technik. Erste Teile der Produktion sind ebenfalls damit ausgestattet.

Umbau mit Corona-Lehren

„Zudem haben wir zusätzliche Netzwerkanschlüsse für das Kassensystem verlegt“, sagt der Fleischermeister. Als Folge der Pandemie integrierte die Fleischerei einen Kassenautomat in die Theke, an dem die Kundschaft ihre Einkäufe eigenständig begleicht. „Das System schützt Team und Kunden gleichermaßen, da der gegenseitige Austausch von Bargeld entfällt. Wer möchte, kann auch ganz unkompliziert und schnell kontaktlos zahlen“, sagt Emmerich, der bislang nur positive Rückmeldungen zur neuen Technik erhielt. Sozusagen als Verlängerung des Tresens dienen hölzerne Kästen samt Glaseinsatz anstelle der klassischen Handtaschenablage. „Darin platzieren wir in erster Linie Produkte, die im Zuge der Corona-Zeit einen Nachfrageschub erlebten, darunter Glas- sowie Dosenkonserven“, so der 33-jährige Jungunternehmer. Direkt hinter der Theke zieht eine große Arbeitsinsel die Blicke auf sich. Während in jüngster Zeit mehr und mehr Betriebe einen solchen Bereich speziell im Sinne größerer Transparenz in der Fertigung einrichten, existierte dieser bereits vor dem Umbau. „Hier waren meine Eltern ihrer Zeit wahrscheinlich voraus“, kommentiert der Niedersachse.

Seit Jahresbeginn hält er das unternehmerische Zepter vollständig in eigenen Händen, zuvor schwang er es vier Jahre gemeinsam mit seinem Vater Walter. Dieser bringt sich zwar weiterhin in den Arbeitsalltag ein, aber vorrangig beratend, wie der Senior selbst betont. Mutter Siegrun komplettiert im Verkauf und der Organisation die familiäre Riege innerhalb der 43-köpfigen Belegschaft. Auf stattliche 132 Jahre, verteilt auf nunmehr fünf Generationen, blickt der traditionsreiche Familienbetrieb zurück. In dieser Zeit machten sich die Rötgesbütteler nicht nur mit ihrer hervorragenden Handwerkskunst im Großraum Braunschweig-Gifhorn einen Namen, sondern zugleich mit einer Reihe hauseigener Spezialitäten.

Zusatzverkäufe mit trendigen, selbst hergestellten Spezialitäten: Haltbare Artikel platziert der Betrieb direkt vor der Theke – und macht sie so zur Impulsware.

Vom Schwein zum Fleischsalat: Wegen der lückenlos nachvollziehbaren Herkunft vertraut Emmerich im Einkauf auf seine regionale Genossenschaft.

Der Renner: Fleischsalat

Ganz oben auf der Liste der Verkaufsschlager thronen Bratwurst und Fleischsalat. Letzterem ist in der Herstellung sogar ein eigener Produktionsbereich gewidmet. „Seit gut 20 Jahren vertreiben wir mittels eines Handelspartners Fleischsalat, Bratwürste sowie eine Reihe weiterer Produkte an regionale Lebensmitteleinzelhändler in einem Umkreis von rund 80 Kilometern“, klärt Emmerich auf. Stolz fügt er hinzu, dass die Nachfrage nach all den Jahren noch immer wachse.
Aber was zeichnet diese Dauerbrenner aus? „Beim Fleischsalat ist es beispielsweise der besonders hohe Wurstanteil, zudem verfügt unsere Mayonnaise über eine äußerst homogene Konsistenz.“ Die Bratwurst bestehe aus überdurchschnittlich viel Rindfleisch, was sich am charakteristischen Biss bemerkbar mache. „Zwar ist sie dadurch etwas teurer, aber unsere Kundschaft weiß diesen qualitativen Mehrwert zu schätzen“, so der diplomierte Ernährungsberater. Hinsichtlich der Rohstoffbeschaffung vertraut der Familienbetrieb seit Jahrzehnten auf die Fachkompetenz des Fleischer-Dienst Braunschweig. Ob Schweine- oder Rindfleisch, die Fleischerei bezieht ausschließlich Waren mit QS-Siegel, das die Fleischherkunft transparent wie lückenlos nachvollziehen lässt. „Wir sehen die Genossenschaft als Full-Service-Partner, die uns permanent kurzfristig und flexibel zur Seite steht“, sagt Emmerich. Darüber hinaus kooperiert der Betriebswirt nach Handwerksordnung seit vielen Jahren mit einem im Harz ansässigen Partner, der ihm Strohschweine liefert. In der Verkaufstheke stechen die daraus hergestellten Produkte durch eine spezielle Präsentation optisch hervor – sie liegen immer in roten Kunststoffschalen.

Ein eigener Produktionsbereich ist der Herstellung des Fleischsalates gewidmet. Denn mit ihm hat der Betrieb einen echten Bestseller gelandet.

Ausgesuchte Spezialitäten und eine besonders homogene Konsistenz machen den Fleischsalat so beliebt. Die Mitarbeiter sind mit viel Herzblut dabei.

Schwein im Dry-Aging

Ins Auge springen die kulinarischen Schätze der beiden Dry-Aging-Schränke. Da die trendigen Trockenreifungskammern für Fleischereibetriebe längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr sind, hebt sich Emmerich auf seine Weise vom Wettbewerb ab: „Im Grunde reift in den meisten Dry-Agern edles Rind. Wir konzentrieren uns hingegen ausschließlich auf Schwein.“ Besonders Koteletts und Nacken bekommen hier ihren geschmacklichen Feinschliff. Der umtriebige Unternehmer sucht fortwährend nach neuen Anreizen, mit denen er seine Kundschaft überraschen kann. „Uns schwirren noch verschiedene Ideen durch den Kopf. So möchte ich mich bei Gelegenheit am Schoko-Aging ausprobieren“, lässt er wissen. Dem ambitionierten Jungunternehmer ist Nachhaltigkeit und Transparenz wichtig – nicht nur wegen der auch von ihm angebotenen Mehrwegboxen. Er weiß ganz konkret, wie er diesem Erwartungsbild bei der Rohstoffbeschaffung, dem Verkauf, der Außendarstellung und ebenso der internen Abläufe – wie Produktion oder Mitarbeiterführung – gerecht wird (mehr dazu online). Mit den bisherigen Investitionen sowie Innovationen startete er nun diesen angestrebten Transformationsprozess.
Abgeschlossen ist er indes noch lange nicht. So möchte er beispielsweise die klassische Prozesskette aus Bestellaufnahme, Produktion und Warenübergabe mithilfe digitaler Prozesse in allen drei Bereichen noch effizienter gestalten.

Mitarbeiter gezielt binden:
Wie Metzger Kai Emmerich seine Belegschaft motiviert

„Jede Generation hat ihre Zeit“, postet Metzger Kai Emmerich aus dem niedersächsischen Rötgesbüttel in einem Facebook-Beitrag, in dem er die Geschichte des Familienbetriebs grob skizziert. Mit sichtlichem Stolz hebt er die Meilensteine der vier vorangegangenen Generationen hervor. Obwohl selbst noch kein ganzes Jahr als alleiniger Geschäftsführer tätig, setzt er mit Hochdruck eigene Akzente, ohne das familiäre Erbe zu vernachlässigen.

Authentische Videoclips

So will er sämtliche Mitarbeiter noch stärker in das Unternehmen einbinden. „Sie sollen sich bei uns wohlfühlen, gerne für uns arbeiten“, unterstreicht er. Unlängst stellte der 33-Jährige eine Kollegin ein, die sich hauptsächlich um die inhaltliche Pflege der Social-Media-Kanäle kümmert. Agierten seine Vorgänger noch weitestgehend unterhalb des medialen Radars, strebt Emmerich eine offensivere Außendarstellung an. Um der Fleischerei ein authentisches Gesicht zu geben, möchte er künftig die gesamte Belegschaft in die digitalen Aktivitäten involvieren. Angedacht sind kurze Videoclips, in denen sich die Mitarbeiter selbst vorstellen oder neue Produkte bewerben. „Offen gesagt, war ich anfangs etwas skeptisch wie die Kollegen dazu stehen, doch glücklicherweise stimmten alle zu“, so der Fleischermeister.

Im Hause Emmerich betrachtet man selbstredend jeden Mitarbeiter als Teil der Unternehmensfamilie. Aus dem 43-köpfigen Team sind viele bereits seit Jahrzehnten im Betrieb angestellt.

Mehr bieten als nur Mindestlohn

Trotz zahlreicher eigener Ideen ist Emmerich aufgeschlossen für Anregungen von außen. Als fruchtbar bezeichnet er die Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Mission Deutschland: „Als Betrieb müssen wir uns dem gesellschaftlichen Wandel stellen. Die internen Strukturen und Prozesse sollten diesen Wandel widerspiegeln.“ Exemplarisch nennt der Betriebswirt die Mitarbeiterfindung: „Wer neues Personal erst sucht, wenn es nötig ist, ist zu spät dran. Wir schreiben daher fortwährend auf den unterschiedlichsten Kanälen sämtliche Stellen aus.“ Mit dem seit Jahren strapazierten Begriff des Fachkräftemangels kann er sich nicht anfreunden. Er sieht die Verantwortung vielmehr auf Seiten der Unternehmen. Wer sich ausschließlich am Mindestlohn orientiere, brauche sich über fehlende Bewerber nicht wundern. „Neues Personal gewinnt man nicht allein durch finanzielle Argumente, sondern durch Anreize, die die persönliche Situation berücksichtigen“, ergänzt er. Dies kann für den einen die flexible Arbeitszeit sein, für den anderen ein Zuschuss zum E-Bike.

Gegenwärtig bildet der Betrieb zwei Fleischer aus, allerdings seien die Kapazitäten damit noch nicht ganz ausgereizt. Grund genug für Emmerich, seine Strategie der gezielten Unternehmensöffnung weiter zu forcieren, um noch mehr potenzielle Fachkräfte in spe zu erreichen.

www.emmerich-fleischerei.de

Filip Lachmann

Bildnachweis: Isabell Massel

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