Aus Erbsen oder Zellen?
Im Handwerk sind die Vorbehalte gegenüber „Schnitzeln“ aus Erbsenfasern oder „Laborfleisch“ groß. Doch nicht zuletzt die IFFA zeigte, welche Bedeutung die Themen inzwischen haben.
Geerntet – nicht geschlachtet“: So wirbt Frosta auf seiner Foodservice-Webseite für sein „Schnitzel vom Feld“. 2020 stieg das Unternehmen, das über Jahrzehnte hinweg vor allem für Tiefkühlfertiggerichte stand, in den Markt für vegetarische und vegane Fleisch- und Fischersatzprodukte ein. Auf 20 bis 30 Prozent taxieren die Bremerhavener die jährlichen Wachstumsraten. Inzwischen sind mehr als die Hälfte der Produkte vegetarisch oder vegan.
Veganes Frikassee
Und die Produktpipeline bleibt gut gefüllt: Ein veganes Hühnerfrikassee und ein ebenso veganes Chili con Carne stehen in den Startlöchern. Bei den Rohstoffen setzt der Hersteller vor allem auf Schwarzwurzeln, Champignons, Blumenkohl und Bohnen. Das Gemüse kommt auf kurzem Weg nach Norddeutschland, es existieren drei eigene Anbaugebiete in der Bundesrepublik – auch, um sich gegen Lieferkettenprobleme zu wappnen.
Der Hersteller ist bei den regionalen Genossenschaften gelistet und beliefert zudem viele Anbieter aus der Systemgastronomie. „Gerade sie ist ein Gewinner der Coronapandemie, weil durch die Möglichkeit des To Go oftmals Gerichte zum Mitnehmen gekauft wurden“, sagt Marketingleiter Benjamin Krapp. Doch die vegetarischen und veganen Spezialitäten sind inzwischen nicht nur bei Fastfoodketten, sondern ebenso in Kantinen und Seniorenheimen gefragt.
Tatsächlich berichten gleich mehrere Burgerfilialisten vom Erfolg fleischloser Gerichte. Bei der Burgerkette „Hans im Glück“ sollen es laut eigenen Angaben bereits mehr als 30 Prozent des Umsatzes sein. Der zielgerichtete Ausbau des Marketings, etwa mit einer dafür offensiven Werbung, sei die Grundlage für die stetig wachsende Nachfrage. Aktionswochen wie „Iss das grün“ der „Burgergrill-Bar“ Peter Pane oder der bundesweit fleischlose „Veganuary“ (jährlich im Januar) tun ihr Übriges, um die Verbraucher auf die neue Vielfalt in Restaurant, Kantine oder Supermarkt aufmerksam zu machen.
Klar ist: Metzger können diese Entwicklung nicht mehr außen vor lassen, wo es doch inzwischen in vielen Familien oft schon mindestens ein Mitglied gibt, welches sich fleischfrei ernähren möchte.
Ein „Schnitzelbrötchen“ ohne Fleisch. Vor allem im To-Go-Geschäft sowie im Catering sollten Metzger auch fleischfreie Alternativen anbieten, um am Puls der Zeit zu bleiben.
Chance für das Handwerk
„Immer mehr Produzenten entdecken alternative Produkte zum Fleisch, die das traditionelle Handwerk sehr gut ergänzen“, beschreibt Thomas Hufnagel, Abteilungsleiter Lebensmittel bei der ZENTRAG, die Entwicklung. Auf der kürzlich stattgefundenen internationalen Branchenleitmesse IFFA in Frankfurt präsentierte auch die ZENTRAG auf ihrem Gilde-Stand viele neue Angebote im Bereich der Fleischersatzproteine. „Wir werden die Zusammenarbeit mit den Herstellern weiter vertiefen. Zudem arbeiten wir permanent daran, die Akzeptanz für Veggie und Vegan weiter auszubauen. Das kommt den Metzgern zugute, denn gerade sie sind dafür prädestiniert, aus den neuartigen Rohstoffen interessante Produkte zu kreieren.“ Hufnagel rät dazu, vor allem beim Außer-Haus-Verzehr und dem Partyservice die vegetarisch-veganen Alternativen auszubauen. Viele Verbraucher erwarten hier Produktvorschläge, die möglichst über frittierte Gemüsetaler und Reibekuchen hinausgehen.
Kooperationen mit Metzgern
Endori ist einer der Hersteller, die bei ihren Fleisch- und Fischersatzprodukten auf Erbsenproteine als Basis setzen. Die Ziele sind hoch: „Wir wollen Vorreiter für moderne Foodkonzepte werden“, sagt Foodleiter Sebastian Freiberg. Dafür sollen vielfältige Kooperationen, vor allem mit Metzgern, entstehen. Die Idee: Endori liefert den Fleischern die Produktbasis und diese veredeln mit passenden Marinaden nach den Wünschen ihrer Kunden vor Ort. Die Konsumenten sollen so „Lust auf neue Inhalte, geschmacklich und von den Rohstoffen her, bekommen“, sagt er.
Zufrieden dürfte man ebenfalls bei Houdek sein. Das Unternehmen investierte in das Start-up Greenforce – es wurde vom Erfolg überrannt. „Wir sind 2020 an den Start gegangen und hatten 2021 ein extremes Wachstum aufzuweisen, welches sich in diesem Jahr fortsetzt. Mit mehr als 100 Tonnen Fleischersatzprodukten haben wir die Produktion verzehnfacht“, berichtet Marketingmanager Nick Helleberg. Der Betrieb arbeitet mit Erbsentexturat, welches zu den hochwertigsten pflanzlichen Proteinquellen zählt. Darüber hinaus produziert man veganes Ei auf der Basis von Ackerbohnen. Metzger erhalten die Basis für die pflanzlichen Varianten von Schnitzel, Burger, Hack, Bratwurst und Cevapcici in Pulverform. Der Erfolg des Unternehmens lockt sogar prominente Investoren wie Fußballnationalspieler Thomas Müller, Pro-Sieben-Moderator Joko Winterscheidt und den Münchner Feinkosthändler Käfer an.
Fleisch aus Zellkulturen
Trotzdem wird Fleisch, auch aus dem Blickwinkel einer weiter wachsenden Weltbevölkerung heraus betrachtet, weiterhin gefragt sein. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach wird es dieses künftig auch in einer anderen Form geben, nämlich als In-vitro-Fleisch, also solches, welches im Labor aus tierischen Zellen künstlich entsteht. Nach Prognosen der Unternehmensberatung ATKearney und dem Digital Food Lab beschert diese Entwicklung der Branche einen Umbruch. Die Marktforscher kalkulieren zwar für 2025 noch mit 90 Prozent konventionellen Fleischessern und zehn Prozent „veganen Konsumenten“. 2030 aber sollen die Verbraucher demnach schon zu zehn Prozent Fleisch aus Stammzellen essen, 18 Prozent sich für pflanzliche Alternativen begeistern und sich somit nur noch 72 Prozent der Menschen von „echtem“ Fleisch ernähren.
Und es geht noch weiter: 2040, so prognostizieren die Berater, soll bereits 35 Prozent des Fleisches aus Stammzellen hergestellt sein und nur noch 40 Prozent aus der klassischen Viehzucht stammen. Noch wartet man zwar hierzulande auf die EU-Zulassung als Novel Food, welches den Start derzeit verzögert. Jedoch: In Singapur ist der Konsum bereits freigegeben. Auch in Israel bieten einige Restaurants auf ihren Speisekarten bereits zellkultiviertes Fleisch an. „In-vitro-Fleisch ist eine unausweichliche Entwicklung, die in wenigen Jahren in unsere Essgewohnheiten Einzug halten wird.
Wir alle können davor nicht mehr die Augen verschließen“, positioniert sich Anton Wahl, Vorstandsvorsitzender der ZENTRAG. „Wir werden diese Entwicklung eng beobachten und begleiten. In einer zukünftigen Vermarktung wollen wir als Zentralorganisation mit unseren Mitgliedern gemeinsam eine wichtige Rolle spielen.“
Die Vorbereitungen laufen
In die Hände spielt dieser Entwicklung die Tatsache, dass „eine zunehmende Zahl von gesellschaftlichen Gruppen, die sich an den Themen Tierwohl, Tiergesundheit oder Tierschutz orientiert, die derzeitigen Prozesse sehr kritisch betrachtet“, konstatiert Zukunftsforscher Stefan Jenzowsky. Aus Befragungen weiß er, dass sich eine größere Zahl von nationalen und weltweiten Experten aus dem Foodbereich wie Markenartikler, die verarbeitende Industrie, Schlachthöfe oder Züchter in der Praxis „sehr intensiv“ mit dem Thema beschäftigen. Zwar dürfe er keine konkreten Herstellernamen benennen. Fest steht aber: Auch hierzulande läuft die Produktentwicklung bereits auf Hochtouren. Exemplarisch seien die Existenzgründer des Rostocker Unternehmens Innocent Meat genannt, die sich jüngst auf der Branchenleitmesse IFFA am Gilde-Stand der ZENTRAG präsentierten.
Deutsche Start-ups
Gründerin Laura Gertenbach stammt aus einer Bauernfamilie in Mecklenburg-Vorpommern. Sie studierte in Barcelona Wirtschaftsinformatik und belegte Kurse in der Wurstherstellung. Zuvor digitalisierte sie den elterlichen Hof und baute den hofeigenen Onlineshop auf. Sie weiß um die Herausforderungen der Landwirte: „Es geht natürlich in erster Linie darum, Lösungen für das weltweite Ernährungsproblem zu finden. Aber auch die Fleischwirtschaft steht aktuell vor großen Problemen, seien es fehlende Fachkräfte oder die kritische Beobachtung von Aufzucht, Schlachtung und Verarbeitung.“ Aus diesen Überlegungen heraus beschäftigte sie sich mit dem Thema In-vitro und pendelt inzwischen zwischen ihrem landwirtschaftlichen Familienbetrieb und dem Labor. Dort entwickelt sie in Bioreaktoren „Hackfleisch“ aus tierischen Stammzellen. Es ist ein langwieriger Prozess, der davon abhängt, wie viel Risikokapitalgeber sie weiterhin finden kann.
Der Preis soll sinken
Noch liegen die Herstellkosten bei 500 Euro pro Gramm. Doch schon im kommenden Jahr soll die Technologie so ausgereift sein, das sie auf zehn Euro pro Kilogramm sinken sollen. Im Jahr 2027 soll das Hack aus dem Reaktor dann nur noch 1,50 Euro je Kilogramm kosten. Schon jetzt seien viele Metzger, vor allem junge, an der Technologie interessiert.
Echtes Fleisch?
Weshalb sich Schlachthöfe und Züchter mit „In-vitro“ befassen
Auf einer Tagung der ZENTRAG präsentierte Zukunftsforscher Stefan Jenzowsky das Thema „In-vitro-Fleisch“, also die Herstellung von Fleisch aus tierischen Stammzellen im Labor. Viele Akteure steigen in diesen Markt ein, selbst Technologieunternehmen wie Google wirken mit und Pharmakonzerne entwickeln Nährmedien für die Herstellung. Die Finanzkraft und Marktpräsenz der großen Unternehmen könnte dazu führen, dass sich die Produkte schnell durchsetzen.
Herr Jenzowsky, woher nehmen Sie die Zuversicht, das sich In-vitro-Fleisch in der Fleischwirtschaft etablieren wird?
Jenzowsky: Wir leiten das Thema aus der Zukunftsforschung ab, die unser Team seit 20 Jahren betreibt. Unsere Prognosen sind natürlich nicht immer eingetreten – aber immer häufiger, auch in anderen Branchen wie beispielsweise der Finanzwirtschaft. Dazu führen wir unter anderem qualitative Befragungen durch, um zu eruieren, wie die Dinge vorangetrieben werden.
Wer gehört zu den Befragten?
Jenzowsky: Eine größere Zahl von nationalen und weltweiten Experten aus dem Food-Bereich wie Markenartikler, die verarbeitende Industrie, Schlachthöfe oder Züchter, die sich in der Praxis mit dem Thema sehr intensiv beschäftigen.
Was verhilft Fleischprodukten aus dem Labor zum Durchbruch?
Jenzowsky: Die Menschen werden nicht aufhören, Fleisch zu essen, auch wenn die veganen und vegetarischen Alternativen ebenso in Zukunft noch stark zunehmen werden. Langfristig ist davon auszugehen, dass ein Drittel des Gesamtbedarfes an Fleisch von Tieren kommt, die nicht gestorben sind. Hinzu kommt eine zunehmende Zahl von gesellschaftlichen Gruppen, die sich an den Themen Tierwohl, Tiergesundheit oder Tierschutz orientiert und die die derzeitigen Prozesse sehr kritisch betrachten.
Industrielle Großanwendungen lassen auf sich warten. Weshalb?
Jenzowsky: Es gibt noch eine Menge von Problemstellungen. Etwa das Thema der Hormone, die den Wachstums- und Reifeprozess des Fleisches auf natürliche Art entwickeln. Oder die Größe der Anlagen von Bioreaktoren, die die erforderlichen Mengen an Fleisch produzieren. Letztendlich ist es, wie bei allen Zukunftsthemen, auch eine Frage der Investitionen, die Forschung und Entwicklung erhalten. Diese nehmen stark zu, deshalb wird der Trend kaum aufzuhalten sein.
Weshalb sollten sich Metzger langfristig mit dem Thema auseinandersetzen?
Jenzowsky: In-vitro-Produkte sind echtes Fleisch. Die Rohmasse, die daraus gewonnen wird, kann auf die klassische handwerkliche Art verarbeitet werden – inklusive traditionellen Rezepten.
Interview: Torsten Holler
Text: Axel Stefan Sonntag