Intelligent und vernetzt
Mehr Kundenservice, effektivere Produktion, bessere Organisation: Dafür entwickelt die digitale Technik ständig neue Instrumente.
Die Schweinehälfte am Hängeförderer wird per Röntgensystem durchleuchtet, die Lage der Knochen erfasst, das Bild in einen Datensatz umgewandelt. Daraus werden die exakten Schneidelienen errechnet für einen Roboter, der das Fleisch von den Knochen trennt. Vom Kotelett wird ein 3D-Bild angefertigt, und nach demselben Prinzip löst ein Roboter die Speckschichten wesentlich präziser ab als herkömmliche Entschwartungsmaschinen.
Oder:
Am Fraunhofer Institut werden Arbeitsroboter entwickelt, die das händische Befüllen, Entladen und Sortieren im Produktionsprozess zumindest teilweise übernehmen sollen. Dabei wird künstliche, selbst lernende Intelligenz eingebaut. Die Roboter sollen eigene Fehler erkennen und Konsequenzen daraus ziehen. Sie hören auf Sprachbefehle, genau wie Alexa, der sprachgesteuerte intelligente Lautsprecher von Amazon, der schon in etlichen Haushalten steht.
Vernetzte Automaten
Künstliche Intelligenz steckt noch in den Kinderschuhen, die Lösungen sind in der Erprobung und zunächst für den Einsatz in großen Fleischverarbeitungsbetrieben vorgesehen. Doch ist es nur eine Frage weniger Jahre, bis die Robotertechnik auch auf kleinere Produktionsvolumina ausgerichtet und damit bei Handwerksmetzgern eingesetzt werden kann. Der „Strategiekreis Digitaler Wandel“, den der Deutsche Fleischer-Verband eingesetzt hat, befasst sich daher auch mit dem Thema Künstliche Intelligenz (siehe Interview). „Wir betrachten alle digitalen Techniken, die Geschäftsprozesse im Fleischerhandwerk unterstützen und vereinfachen können“, sagt Gero Jentzsch, Sprecher des DFV.
Darunter auch das Internet der Dinge (IoT, Internet of Things). Mit dieser Technik werden Geräte über das Internet verbunden und können miteinander kommunizieren – seien es Produktionsmaschinen, Küchenautomaten oder die Kassen und Waagen im Laden. Dann wird der Kombidämpfer an die Spülmaschine melden können, dass seine Essenszubereitung in 15 Minuten abgeschlossen ist und dass in spätestens 60 Minuten bestimmte Spülkapazitäten gebraucht werden.
Die Spülmaschine wird sich rechtzeitig einschalten und ihr Programm hinsichtlich Spülvolumen und Spülintensität automatisch auf die vom Kombidämpfer gemeldete Aufgabe ausrichten. „Die Maschinen werden nach und nach vernetzt, und daraus ergeben sich viele spannende Anwendungen“, sagt Manfred Kohler, Geschäftsführer Vertrieb und Produktion bei Hobart. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die Hersteller zusammentun, eine gemeinsame Plattform schaffen und Standards für Schnittstellen entwickeln. Denn nur dann wird es für den Fleischer möglich sein, die Geräte unterschiedlicher Hersteller in ein gemeinsames System einzubinden.
Effektive Steuerung
Mit dem Internet verbunden sind die Geräte schon heute. Dies ermöglicht den Remote-Service, also Ferndiagnosen und Fehlerbehebung über die Software. Um beim Beispiel Spülmaschinen zu bleiben: Hersteller Hobart hat eine App entwickelt, die unter anderem per Push-Meldung über Störungen informiert, Auswertungen zum Wasser-, Strom- und Reinigerverbrauch liefert und auf Wartungsintervalle aufmerksam macht. Die Geräte sind außerdem intelligent genug, um leere Bandabschnitte oder verschiedenartige Spülgüter zu erkennen und den Frischwasserverbrauch an diesen speziellen Verhältnissen auszurichten. Ob in Produktion oder in der Küche: Die neuen Maschinengenerationen sind alle mit solchen hilfreichen Steuerungs- und Überwachungsfunktionen ausgestattet.
Robotik sowie über IoT vernetzte Geräte werden irgendwann auch in den Fleischereibetrieb einziehen. Wettbewerbsrelevant sind diese Techniken aber vorerst noch nicht. Im Gegensatz zu digitalen Lösungen, die heute schon zur Verfügung stehen und die über Vorsprung oder Rückstand gegenüber der Konkurrenz entscheiden können. So ist heute ein modernes ERP-System (Enterprise Resource Planning), das die Produktionsprozesse sowie die Waren- und Finanzströme bis hin zum Verkauf abbildet, unabdingbar für eine effektive betriebswirtschaftliche Steuerung eines größeren Fleischereibetriebs.
Früher war die computergestützte Ressourcenplanung den Großunternehmen vorbehalten, ihre Einführung und Anpassung war aufwendig und mit hohen Kosten verbunden. Inzwischen gibt es abgespeckte und einfachere Versionen, die Ähnliches leisten. Etwa in der Produktion, durch die integrierte Planung der einzelnen Prozesse und durch das digital unterstützte Management von Rohstoffen und Zutaten. „Selbst in einer gut organisierten Produktion mit erfahrenen Leuten lassen sich durch Prozessoptimierung noch Effizienzpotenziale freisetzen“, sagt DFV-Experte Gero Jentzsch. Gleiches gilt für andere Leistungsbereiche. In einem ERP-System sind nach dem Baukastenprinzip die einzelnen Software-Tools integriert – vom Wareneinkauf über die Finanzen bis zum E-Commerce. Jede der Einzelanwendungen sorgt für mehr Effektivität in ihrem Bereich.
Bleibt der Blick auf einige der digitalen Techniken, die für Marketing und Verkauf relevant sind. Der Lebensmittelhandel, Mitbewerber des mittelständischen Fleischers, rüstet momentan massiv auf und setzt Maßstäbe, an die sich die Kunden gewöhnen und an denen sich auch die Fleischerei messen lassen muss. Beispiel CRM, das Consumer Relationship Management: Über digitale Anwendungen werden Kundenstrukturen analysiert, Kundenvorlieben identifiziert, die Kundenkommunikation individualisiert, Kundenbindungen zum Beispiel über Karten- und Gutscheinprogramme gestärkt. Das alles mit dem Kommunikationsmedium Smartphone im Mittelpunkt und mit Apps, die vielfältige Services bieten. Digitale Gutscheine zum Beispiel verteilt der Foodhandel inzwischen in Massen. CRM-Programme, unter anderem mit Gutscheinanwendungen, gibt es längst auch für Fleischereibetriebe. Sie werden wichtiger, weil Kunden wertgeschätzt, individuell behandelt und mit besonderen Vorteilen bedacht werden wollen.
Das allgegenwärtige Smartphone dient beim Einkauf inzwischen als Allround-Instrument, für die Navigation zum Regal, zum Einscannen von Produkteigenschaften, perspektivisch sogar zum Bezahlen. Mobile Payment ist ein Zukunftsmarkt, um den sich hierzulande internationale Großkonzerne wie Google, Apple und Amazon mit nationalen Banken und TK-Unternehmen unter hohem finanziellen Aufwand streiten. Einige der Großfilialisten des Lebensmittelhandels stehen kurz vor der Einführung der Technik. Noch geraten Fleischereien dadurch nicht unter akuten Handlungszwang. Doch die deutschen Verbraucher wollen immer seltener mit Münzen und Scheinen bezahlen, die Barzahlungsquote ist im vergangenen Jahr unter die 50-Prozent-Marke gesunken. Darauf müssen auch Fleischereien reagieren: Viele bieten unbare Bezahlung per EC-Karte, manche schon heute über die neue kontaktlose NFC-Technik. Einige haben Bezahlautomaten für Bargeld und Karte in ihre Ladentheken integriert. Über kurz oder lang wird das Smartphone als weitere Variante hinzukommen.
Eine weitere, digital basierte Entwicklung im Foodhandel müssen mittelständische Fleischereien ebenfalls im Blick behalten. Speziell der Rewe-Konzern, aber auch andere Filialisten investieren massiv in den Bereich E-Food, insbesondere in die Frische-Logistik. Noch liegt der Marktanteil von E-Food in Deutschland bei lediglich etwas mehr als einem Prozent – in UK sind es schon nahezu acht Prozent. Doch der Markt wird wachsen – und damit die Zahl der Verbraucher, die auch Frischware wie Fleisch und Wurst bequem, ohne lange Wege und von Öffnungszeiten unabhängig beziehen wollen.
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Flexibler für die Kunden
Auch Fleischerei-Unternehmer müssen sich daher alternative Wege zum Kunden eröffnen. Dies kann ein eigener regionaler Bestell- und Lieferservice sein – allerdings ein unter Kostengesichtspunkten schwer realisierbares Konzept. Oder eine gemeinsame mittelständische Initiative, wie in München. Dort baut ein Start-up-Unternehmen ein Netz kleiner Abhol-Filialen auf, mit Ein-Mann-Besetzung am Ausgabetresen und mit einem Kühlschränkesystem. Neben anderen Branchen sind auch zwei Fleischereien beteiligt. Sie liefern über den Onlineshop eingegangene Kundenbestellungen gebündelt an die Abholstationen aus, die Kunden können ihre Ware bis 22 Uhr abends abholen.
Ein weiterer Ansatz sind Verkaufsautomaten, die von immer mehr Fleischern als besonderer Kundenservice aufgestellt werden. Oder gekühlte Abholfächer: Da können Kunden etwa freitags Grillgut über die Homepage des örtlichen Fleischers bestellen, dieses sonntags am Schließfach für das abendliche Grillfest abholen und zum Bezahlen kurz das Smartphone vor das Lesegerät am Automaten halten: Auch so kann die digitale Zukunft der Fleischerei aussehen.
Interview
Gero Jentzsch ist Sprecher des Deutschen Fleischer-Verbands und Mitglied des „Strategiekreises Digitaler Wandel“.
Welche Ziele verfolgt der vom DFV initiierte Strategiekreis Digitaler Wandel?
Der Strategiekreis befasst sich ganz allgemein mit der Frage, wie der digitale Wandel die Geschäftsprozesse in einem Unternehmen des Fleischerhandwerks unterstützen und vereinfachen kann. Und zwar über den gesamten Betriebsablauf hinweg, vom Einkauf bis zum Vertrieb. Dabei haben wir immer zwei Ziele im Auge. Einerseits wollen wir für unsere Mitgliedsbetriebe möglichst einfach anwendbare Lösungen entwickeln, um ihnen den Einstieg in das digitale Zeitalter so leicht wie möglich zu machen. Andererseits wollen wir aus den gesammelten Erkenntnissen eine Digitalisierungsstrategie für das Fleischerhandwerk ableiten.
Wer ist in diesem Arbeitskreis aktiv?
In ihm sitzen Vertreter von Innungsbetrieben unterschiedlicher Größe und Lage, die bereits eigene praktische Erfahrungen mit dem digitalen Wandel in ihren Unternehmen gemacht haben. Zu ihnen gehört auch unser Präsident Herbert Dohrmann, der den Strategiekreis leitet und die Digitalisierung im Präsidium des DFV zur Chefsache gemacht hat.
In welcher Form werden Ergebnisse an die Branche weitergegeben?
Als erstes Ergebnis aus der ersten Sitzung haben wir zusammen mit einem Partnerunternehmen des DFV ein Starterpaket für bargeldloses beziehungsweise kontaktloses Bezahlen geschnürt, das auch Smart Payment, also Bezahlen mit dem Smartphone einschließlich Google Pay und Apple Pay umfasst. So soll es weitergehen, im Idealfall kommt am Ende jeder der halbjährlich stattfindenden Sitzungen ein Produkt oder eine Dienstleistung heraus, die unsere Betriebe direkt nutzen können.
Stichwort Payment: Worauf müssen sich Fleischereien einstellen?
Der Anteil der Fleischer-Fachgeschäfte, in denen Kunden mit Karte zahlen können, steigt ständig. Man sagt den Deutschen ja nach, dass sie stärker als ihre europäischen Nachbarn am Bargeld hängen, aber gerade jüngere Kunden zahlen heute selbstverständlich schon Kleinstbeträge mit Karte. Dasselbe gilt für kontaktloses oder Bezahlen mit dem Smartphone. Neben den Vorteilen, die Kartenzahlung im Laden bringt, wie dem verkürztem Bezahlvorgang, dem Schutz vor Diebstahl oder dem Wegfall des Umgangs mit dem Kleingeld, für das man bei vielen Geldinstituten inzwischen Gebühren zahlen muss, sind Kunden, die wissen, dass sie in der Fleischerei mit Karte zahlen können, ohne schief angesehen zu werden, auch großzügiger, was ihr Konsumverhalten angeht. Wer nicht im Kopf ständig mitrechnen muss, ob die Scheine im Portemonnaie für den spontanen Grilleinkauf noch reichen, ist sicher eher bereit, ein bisschen mehr mitzunehmen. Fleischer tun also gut daran, ihre Kunden auf die Möglichkeit, bei ihnen mit Karte zahlen zu können, deutlich hinzuweisen.
Wie können digitale Lösungen in der Produktion zu höherer Effektivität beitragen?
Selbst in einer gut organisierten Produktion mit erfahrenen Leuten lassen sich durch Prozessoptimierung noch Effizienzpotentiale freisetzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich Abläufe außerplanmäßig ändern oder aus anderen Gründen umgestellt werden müssen, zum Beispiel, wenn ein Mitarbeiter ausfällt und nicht ohne weiteres eine Vertretung organisiert werden kann. Bei der momentan herrschenden starken Auslastung unserer Betriebe ist das leider recht häufig der Fall. In diesem Fall ist es gut, wenn man an zentraler Stelle und mit digitaler Unterstützung beispielsweise einen Produktionsplan umstellen und dann an alle Mitarbeiter kommunizieren kann, ohne jeden Einzelnen persönlich neu einweisen zu müssen. Direkt damit in Zusammenhang steht natürlich das digital unterstütze Management von Rohstoffen und Zutaten, bei der Lagerhaltung, der Vorbereitung, der Zusammenstellung von Gewürzen ebenso wie bei der Reinigung, der allgemeinen Hygiene und deren Dokumentation.
Welche Potentiale bietet die Digitalisierung für die Verwaltungsprozesse in der Fleischerei?
Hier gilt das Gleiche. Informationen und Zahlen, die in digitaler Form vorliegen, können leichter verarbeitet, aufbereitet und dargestellt werden. Dies setzt aber in den meisten Fällen den Einsatz spezifischer, auf das Unternehmen zugeschnittener Software voraus. Bisher war computergestützte Ressourcenplanung mit sogenannten ERP-Systemen Großunternehmen vorbehalten, ihre Einführung und Anpassung war aufwendig und mit hohen Kosten verbunden. Dasselbe galt für PIM-, also Produktinformations-Management-Systeme. Inzwischen gibt es hier abgespeckte, kleinere und einfachere Produkte, die Ähnliches leisten. Da diese aber immer noch an zentralen Punkten tief in die Abläufe des Unternehmens eingreifen und auch eine Menge Schnittstellen betreffen, ist eine gründliche Nutzenabwägung sicher sinnvoll; ebenso, wie ausreichend Zeit und Ressourcen für deren Einführung einzuplanen.
Ist digitales Management der Kundenbeziehungen auch ein Thema für Handwerksmetzger?
Auf jeden Fall. Voraussetzung ist natürlich, dass diese Daten auch erhoben werden. Ein gutes Hilfsmittel sind in diesem Zusammenhang digital gestützte Kundenbindungssysteme, bei denen Kunden sich auch registrieren können. Dann ist es verhältnismäßig leicht, diesen Kunden besondere, auf ihr Einkaufsverhalten zugeschnittene Angebote zu machen. Eben genau so, wie es eine erfahrene Verkaufskraft in einem Fleischer-Fachgeschäft sowieso machen sollte.
Befasst sich der Strategiekreis auch mit ferneren Zukunftsbereichen, etwa der Künstlichen Intelligenz?
Technische Innovationen halten mit neuen Generationen von Fleischereimaschinen ganz von selbst Einzug in die Betriebe des Handwerks. Aber gerade der digitale Wandel bietet den Handwerksbetrieben Chancen, die darüber hinausgehen. Viele Lösungen, zum Beispiel KI-Anwendungen, sind rein softwarebasiert und auf die Gegebenheiten im Betrieb anpassbar. Zudem sind sie heute günstiger und leichter verfügbar als noch vor einigen Jahren. Voraussetzung ist allerdings, dass auch Daten vorliegen, die so eine Anwendung verarbeiten kann. Dann könnte KI beispielsweise Verkaufspersonal beim Beratungsgespräch unterstützen.
In welcher Form?
„Kunden, die Produkt X kaufen, haben auch Produkt Y gekauft“, kennen wir bereits von großen Onlineplattformen. Eine KI-Anwendung, die alle Einkaufsvorgänge an der Ladentheke auswertet, nicht nur nach Produkt und Menge sondern zum Beispiel auch nach Datum, Wochentag, Uhrzeit und Dauer des Verkaufsvorganges, wäre nach einer gewissen Lernphase leicht in der Lage, einer Verkaufskraft über ein Display Produkte anzuzeigen, die der Kunde, der sich gerade im Laden befindet, mit hoher Wahrscheinlichkeit kaufen würde. Eine erfahrene, langjährige Mitarbeiterin kann so ein System sicher nicht ersetzen. Es könnte aber eine neue oder ungelernte Kraft unterstützen, deren Einarbeitungsphase verkürzen und somit die erfahrenen Kollegen entlasten, die sonst Hilfestellung leisten müssten. So ein System könnte auch die gesamte Organisation des Ladengeschäftes unterstützen, indem es zum Beispiel rechtzeitig darauf hinweist, dass bestimmte Produkte, die wahrscheinlich stärker nachgefragt werden, vorbereitet oder nachgefüllt werden. Auch hier ersetzt die KI keine Verkaufsleiterin, sie kann aber helfen, den Betriebsablauf stressfreier zu gestalten und Druck von den Mitarbeitern zu nehmen.
© Deutscher-Fleischer-Verband: Gero Jentzsch