Wenn die ganze Welt zu Gast is(s)t
Seit 122 Jahren besteht die Metzgerei Heininger in Frankfurt. Das Publikum ist international – und kauft regionales ebenso wie ausgefallene Spezialitäten.
Frankfurt-City. Da denkt man an Banker und Börse, Firmensitze, in denen vornehmlich englisch gesprochen wird und an den nicht weit entfernten Flughafen, der 81.000 Mitarbeiter beschäftigt. All dies prägt die Metzgerei Heininger, die sich – direkt am Liebfrauenberg gelegen – auf ein solches Publikum eingestellt hat. Sprachlich, im Sortiment und beim Service. Zentrale Umsatzsäule ist der Mittagstisch, für den der Betrieb eine separate Verweilzone vorhält – und im Sommer auch draußen bestuhlt. „Damit erwirtschaften wir sicherlich die Hälfte unseres Umsatzes“, sagt Richard Heininger junior, der jetzt die vierte Unternehmergeneration stellt. Von etwa halb elf bis halb drei stehen montags bis samstags drei Tagesgerichte zur Auswahl – plus immer eine vegetarische Alternative. Hinzu kommen die täglichen Menüs wie Suppen und Salate, deftige Bestseller wie Rippchen, Currywurst und Spießbraten – aber natürlich auch die in der Mainmetropole unabdingbaren Frankfurter Würstchen und die Grüne Sauce – mit Ei und Salzkartoffeln.
Bis zu 400 Essen pro Tag gehen hier über die Ladentheke.
Schon vor elf Uhr kommen die ersten zum Mittagstisch. Auf 100 Quadratmetern sind 35 Steh- und 40 Sitzplätze untergebracht. Im Sommer ist sogar außen bestuhlt.
Mitten in der Großstadt
Etwa 60 Prozent der Gäste seien Stammkunden, „die hier arbeiten, um die Ecke wohnen oder zur Touristenklientel gehören“, weiß Heininger. Ihr Können stellen die rund 20 Mitarbeiter, von denen meist sechs in der Küche arbeiten, ebenso bei größeren Events wie dem Federweißerfest, dem Mai- und Weinfest oder dem JP-Morgan-Lauf unter Beweis. Sprichwörtlich auf der Straße stehen dann Grillstand, die XXL-Bratpfanne mit Geschnetzeltem und die eigene Zapfanlage – aus der neben Bier selbstredend auch Apfelwein fließt.
Bei all dem liegt es auf der Hand, dass die Pandemie mitsamt den Lockdowns für den Betrieb ein massiver Einschnitt war. „An wen sollte ich noch verkaufen, wenn niemand in der Stadt war“, blickt Heininger zurück. Unkonventionell habe man das Liefergeschäft ausgebaut, großzügig die Mindestauftragswerte ignoriert und in ein Lastenfahrrad investiert, das noch heute unterwegs ist. Damit käme die Ware in der verkehrsreichen Innenstadt schneller zum Kunden, als mit dem Auto.
Wenig begeistert zeigt sich der Unternehmer von den Plänen der Stadt, die nahegelegene Verkehrsachse von zwei Spuren auf eine zu reduzieren. „Dann nimmt man ein Verkehrschaos absichtlich in Kauf, das uns treffen wird. Wir leben von vielen Kunden aus dem Umkreis, von denen sich nicht jeder in die S-Bahn setzen will“, zeigt er sich besorgt und befürchtet, dass sich bei noch mehr Staus Teile seiner Kundschaft anderweitig orientieren werden.
Fast 90 Prozent des Angebotes ist Eigenproduktion. Hier entsteht aus Knochen und Gemüseabschnitten die Grundsauce für den später frisch gekochten Wildgulasch.
Die Mitarbeiter schnippeln frisches Gemüse und sind mit viel Herzblut dabei.
Bewährtes und trendiges
Umso mehr will Heininger mit einem ausgewogenen Mix aus bewährter Hausmannskost, saisonalen Klassikern und internationalen Spezialitäten dagegenhalten. Die Fleisch- und Wursttheke zeigt deshalb unter anderem Schweinefüße, Kalbshirn, Trüffelleberwurst, Bündner Fleisch und die „Krönungswürstchen“. Letztere führte das Team zur Eröffnung der neuen Frankfurter Altstadt ein. Erhältlich sind diese im Glas, lose und im bereits vakuumierten Zweierpack.
Überhaupt bietet der Betrieb viele seiner Produkte vorverpackt an. „Zum einen, weil viele Kunden die so verlängerte Haltbarkeit schätzen und zum anderen, weil diese Angebotsform Impulskäufe fördert“, begründet er. Selbst das Käseangebot erscheint im globalen Großstadtmix: Französischer Camembert trifft auf schwedischen Gräddost – aber ebenso auf selbst hergestellten Koch- und Frischkäse. „Auch ein Metzgerbetrieb braucht Käse. Für mich gehört eine kleine, aber gut sortierte Auswahl zum Angebot einfach dazu“, so der 44-Jährige. Sein Vater, Richard Heininger senior – alle vier Heininger-Generationen heißen beziehungsweise hießen Richard – scheint rückblickend betrachtet froh, sich 2014 für einen Mega-Umbau entschieden zu haben.
Auf der rechte Seite des Geschäfts entlang ziehen sich Straßenverkauf, Imbiss und der montags bis samstags angebotene Mittagstisch. Wein- und Sektauswahl inklusive.
Im Laden zeigt die linke Theke das Wurst-, Fleisch- und Käseangebot. Die auf den Tresen liegenden verpackten, deutschen Spezialitäten lassen die Touristen gerne zugreifen.
Zeiten im Wandel
Denn dort, wo heute die Gäste zum Essen Platz nehmen, befand sich einst die Wurstküche. Sie wechselte in das zweite Untergeschoss. „Die jüngere Generation will essen und genießen, doch kochen wollen die wenigsten“, beobachtet er. Und noch etwas habe sich verändert: „In meiner Lehrzeit hieß es, auf eintausend Einwohner kommt ein Metzger. Somit waren wir 600 in Frankfurt, heute sind es noch etwa 30. Es ist traurig, wie unser Handwerk kaputt geht“, moniert der 82-Jährige, der noch immer seinen Beruf mitsamt des Geschäfts lebt. Einmal habe ihn eine überaus kritische Kundin gefragt, woher denn genau das Fleisch komme, welches er in seiner Auslage präsentiert.
Nachdenken musste der Senior da nicht – im Gegenteil: „Von dem Stück Fleisch kann ich ihnen sogar sagen, wie die Großmutter hieß“, sagte er mit einem Lächeln. Denn ein Großteil der Tiere grasen im nicht weit entfernten Odenwald. Diese authentische Regionalität vermarktet der Betrieb offensiv mit dem offiziellen Qualitätszeichen des Landes Hessen.
Zurück zum Fachkräftemangel. „Übertarifliche Bezahlung ist ein Muss, wenn ich überhaupt noch Menschen finden möchte“, kommentiert der Junior und bietet seinen Angestellten noch einiges mehr: Etwa einen Fahrtkostenzuschlag, „der sehr gut ankommt“ oder flexible Arbeitszeiten, „die jüngst zwei Kolleginnen aus dem Lebensmittelhandel dazu motivierten, zu uns zu wechseln“. Denndie Supermärkte der Mainmetropole sind zum Teil bis Mitternacht geöffnet. Flexibel zeigt sich die Mannschaft auch auf Kundenseite: „Einmal wünschte sich ein Gast zum Mittagstisch Kaiserschmarren. Den Wunsch haben wir natürlich erfüllt.“
Text: Axel Stefan Sonntag
Ein echtes Familienunternehmen: Elvira Heininger mit ihrem Mann Richard senior und ihrem Sohn Richard junior.
Das bezogene Schweine- und Rindfleisch kommt ganz überwiegend aus dem Odenwald.
Bereit für den Mittagstisch: Bis zu 400 Gerichte wandern hier montags bis samstags über die Theke.
Besondere Spezialitäten: Im Vordergrund die Wildplatten, im Regal selbst hergestellte Fonds, Fertiggerichte und Wurstkonserven.
Verpackte Impulskäufe: Bei Heininger gibt es viele der hauseigenen Spezialitäten in der haltbaren Vorratspackung.
Verstehen ihr Handwerk: Heiningers Mitarbeiter wissen, wie man Fleisch fachgerechnet zuschneidet.
Sie gehören zum Inventar: Ehemals benutzte Produktionsmaschinen. Der Kutter (ganz hinten) wiegt mehr als eine Tonne.
Bildnachweis: Klaus Landry