Fleischlos in die Zukunft?

Fleisch essen oder nicht? Das Thema bewegt immer mehr Verbraucher, und neu entwickelte Fleischalternativen erobern den Markt. Doch das ist noch lange kein Grund zur Panik.

Sieht so der Snack der Zukunft aus – eine Handvoll gerösteter Insekten? Von manchen werden die proteinhaltigenFleischalternativen bereits als Lösung aller Ernährungsprobleme gefeiert, hierzulande besetzen sie jedoch nur eine winzige Nische im Markt. Die Verbraucher sind zwar bereit, Ausgefallenes zu probieren, für die meisten geht das Knabbern von gerösteten Insekten aber dann doch zu weit. Der Burger-Filialist Hans im Glück probiert einen anderen Ansatz: Anfang des vergangenen Jahres hat er einen Insektenburger erfolgreich getestet, jetzt soll der seinen festen Platz auf der Speisekarte bekommen. Der Bratling besteht zu 80 Prozent aus nährstoffreichen Tenebrio-Molitor-Würmern. Man wolle die Gäste vertraut machen mit Zutaten, die künftig immer wichtiger würden, erklärt Geschäftsführer Peter Prislin. Ihm sei es zudem wichtig, die Gäste zum Umdenken zu veranlassen.

Breite Zielgruppe

Damit trifft er den Trend: Immer mehr Verbraucher wenden sich fleischlosen Genüssen zu. Der Markt reagiert geradezu euphorisch darauf. Lebensmittelhersteller und -händler setzen wie die Gastronomie zunehmend auf Produkte, die sich zwar als Fleisch ausgeben, aber nicht aus Fleisch bestehen. Damit sprechen sie nicht nur die wachsende Zielgruppe der Vegetarier und Veganer an – laut dem Ernährungsreport 2019 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sind dies rund sechs Prozent der Bevölkerung. Erreichen wollen sie viel-mehr auch die Flexitarier: Diese möchten ihren Fleischverbrauch reduzieren und achten auf hochwertige Qualität. Hintergrund sind neue, gesundheitsbewusste Essgewohnheiten sowie ethische Bedenken: Vor allem die Tierhaltung steht zunehmend in der Kritik. Zudem sprechen klimarelevante Argumente für ein Umschwenken, da eine pflanzliche oder zumindest fleischreduzierte Ernährung heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge die Umwelt weniger belastet. Der tägliche Fleischgenuss könnte also bald der Vergangenheit angehören.

Raus aus der Nische

Die Lebensmittelbranche reagiert auf die neuen Ansprüche und bietet den Verbrauchern eine wachsende Auswahl an fleischfreien Alternativen. „Das Entwicklungspotenzial dieser Produktgruppe ist extrem groß“, sagt Markus Wissing, Vertriebsleiter bei Vegafit, einem Hersteller pflanzenbasierter Fleischalternativen. „Der Weg von der Nische zum Massenmarkt zeichnet sich bereits ab.“ Auch Jochen Kramer, Marketingleiter des Convenience- und Snack-Spezialisten Salomon Foodworld, geht davon aus, dass Fleischfrei-Angebote in den kommenden Jahren massiv wachsen werden. Allerdings rät er zu einer realistischen Einschätzung dieses Hypes: „Metzger sollten sich nicht verrückt machen lassen“, erklärt er. „Im Burger-Bereich stellen fleischfreie Produkte – also Fleischersatz und vegetarisch-natürliche Produkte – weniger als fünf Prozent des Gesamtmarktes dar.“

Pflanzliche Basis

Die Lebensmittelbranche setzt alles daran, dass die pflanzenbasierten Fleischalternativen in Geschmack, Konsistenz und Aussehen ihren originalen Vorbildern aus echtem Fleisch immer ähnlicher werden. Ein echtes Steak pflanzlicher Herkunft gibt es zwar noch nicht, doch kleinteilige Produkte wie Burger-Pattys, Hackfleisch, Geschnetzeltes und Bratwurst gewinnen zunehmend fleischartigen Charakter. Basis sind Soja, Weizeneiweiß, Lupinen, Erbsen, aber auch Reis, Sonnenblumenkerne, Algen oder Pilze, oft in Kombination mit Gemüse. Kräuter und Gewürze sorgen für Geschmack, Rote-Bete-Saft für die Fleischfarbe, Öle tragen zu einer saftigen Konsistenz bei. Die Behandlung der pflanzlichen Masse etwa durch Pressen und Erhitzen bringt fleischartige Fasern zustande.

Wachsendes Potenzial

Dennoch: An der Börse boomen die Aktien des US-Unternehmens Beyond Meat, Hersteller von Burger-Pattys und pflanzlichem Hähnchenfleisch, ebenso wie die des Wettbewerbers Impossible Foods. Auch in Europa wollen Lebensmittelproduzenten an dem Trend teilhaben. Der deutsch-niederländische Fleischkonzern Vion präsentierte sein Fleischfrei-Startup ME-AT im Herbst auf der internationalen Lebensmittelfachmesse Anuga: im Fokus fünf vegane Produkte auf Sojabasis, vom Burger-Patty über Hackfleisch bis zur Wurst. Auch Danish Crown will jüngsten Meldungen zufolge mit einem eigenen Pflanzen-Burger in den Markt einsteigen.

Der mittelständische deutsche Wurstproduzent Rügenwalder Mühle kündigte an, seine erfolgreiche Range an vegetarischen Wurst- und Fleischprodukten auszubauen und den Anteil der fleischfreien Produkte in seinem Sortiment kontinuierlich zu erhöhen – bis Ende 2020 auf 40 Prozent. Für Gesprächsstoff sorgen zudem immer wieder Meldungen über (pflanzliches) Fleisch aus dem 3D-Drucker.

Fleisch aus dem Labor

Ob Burger King, McDonald’s oder Kentucky Fried Chicken: Die großen Player im Gastrosegment setzen verstärkt auf den Fleischfrei-Trend. Klar, dass auch der Lebensmittelhandel nachzieht: Lidl, Netto oder Aldi fachen den Hype um die Veggie-Burger an – vom Beyond Burger bis zum Next Level Hack. Hersteller wie Nestlé (Marke „Garden Gourmet“) oder Unilever investieren kräftig.
Erst kürzlich hat Unilever das Unternehmen „De Vegetarische Slager“ des niederländischen Veggie-Vorreiters Jan Kortweg übernommen und will jetzt unter der Marke „Der vegetarische Metzger“ auch in Gastronomie und Foodservice die pflanzenbasierte Ernährung voranbringen. „Die Nachfrage nach einem üppigen Fleischangebot nimmt ab, während der Wunsch nach gesunden, abwechslungsreichen und pflanzenzentrierten Gerichten steigt“, so eine Pressemitteilung. Zukunftspotenzial sehen einige Unternehmen zudem in der Herstellung von In-vitro-Fleisch, also Fleisch, das im Labor gezüchtet wird – auch als „cultured meat“ oder „clean meat“ bekannt.
Einen Vorstoß unternahm der niederländische Forscher Mark Post 2013: Damals servierte er den ersten Burger aus Fleisch, für das kein Tier geschlachtet werden musste. Bis heute sind jedoch Qualität und Herstellungskosten von kultiviertem Fleisch absolut nicht wettbewerbsfähig. Das wird in Zukunft wohl anders aussehen: Zunehmend mehr Unternehmen treiben ihre Forschungen auf diesem Gebiet voran.

Fleischlos beim Fleischer

Bislang wagen es nur wenige „echte“ Metzger, mit ihrem Sortiment speziell Vegetarier und Veganer anzusprechen. Zum Beispiel Michael Spahn in seiner Frankfurter Metzgerei Biospahn: Mit mehr als 120 veganen Produkten setzt er sich von seinen Mitbewerbern ab. In der Genussfabrik Trier begeistern Sylvia und Jörg Stoller ihre Kunden auch mit vegetarischen Burgern oder einer entsprechenden Sauce Bolognese. Im österreichischen Ulrichsberg haben Hermann und Thomas Neuburger, zuletzt erfolgreich mit dem „Neuburger“-Leberkäse unterwegs, eine vegetarische Produktionslinie gegründet. Unter der Marke Hermann stellen sie vegetarische Bratwürste, Gyros und Bratstreifen her: aus Kräuterseitlingen, einer speziellen Pilzart. Vertrieben werden die Produkte unter anderem im Bio-Fachhandel und in Supermärkten in Österreich.

Interessierte Konsumenten

Für Fleischer-Fachgeschäfte muss der Trend weg vom Fleisch keine schlechte Nachricht sein. Stichworte wie Nachhaltigkeit, nachvollziehbare Herkunft, Regionalität oder Bio machen klar, dass Verbraucher heute anspruchsvoller sind, und wenn es um Fleisch geht, besinnen sich immer mehr auf die Qualitäten des Fleischerhandwerks. Fleischer, die als Snack oder Imbiss auch einen vegetarischen Burger oder eine vegetarische Currywurst auf die Speisekarte setzen, nutzen die Chance, neue Kunden zu gewinnen. „Die Kundschaft ist dem Thema Fleischfrei gegenüber derzeit sehr aufgeschlossen“, weiß Jochen Kramer. „Da muss der Fleischer gar nicht viel dafür tun.“

Interview Jochen Kramer – Marketingleiter Salomon Foodworld

©Salomon Foodworld

„Veggie-Burger als Ergänzung“

Jochen Kramer ist Marketingleiter bei Salomon Foodworld. Das Foodservice-Unternehmen ist im Markt vertreten mit Fingerfood, Burgern, Schnitzeln und Hackfleischprodukten und bietet mittlerweile auch pflanzliche Fleischalternativen an.

Herr Kramer, warum kann es für ein Fleischer-Fachgeschäft durchaus sinnvoll sein, fleischfreie Burger und andere fleischfreie Imbissartikel anzubieten?
Die grundlegenden Trends im Foodbereich sind in den letzten Jahren eine gesunde und bewusste Ernährung sowie der Wunsch nach Nachhaltigkeit – fleischfreie Burger und Imbissartikel sind eine Ausprägung dieses Trendes. Dementsprechend kann der Metzger mit fleischfreien Produkten zusätzliche Kunden und Zielgruppen bedienen.

Sie sehen das also nicht als Widerspruch?
Nein, keineswegs. Man sollte schließlich auch bedenken, dass gerade innerhalb von Gruppen ein Gast die gesamte Gruppenentscheidung beeinflussen kann. Sagt einer, „da gehe ich lieber nicht hin – da gibt es nix für mich“, dann bleibt die ganze Gruppe weg.

Wie entwickelt sich der Markt der „Fleischfrei-Snacks“?
Klar, Fleischfrei ist ein Thema und wird in den nächsten Jahren massiv steigen. Aber beispielsweise im Burger-Bereich stellen fleischfreie Produkte (Fleischersatz und vegetarisch-natürliche Produkte) weniger als fünf Prozent des Gesamtmarktes dar. Verfolgt man die Medien, könnte man ja meinen, dass es schon die Hälfte des Marktes ist.

Fleischer sollten sich also nicht verrückt machen lassen?
Der aktuelle Hype spiegelt in keinster Weise die Realität wider! Das ist mir wirklich persönlich ein Anliegen – aktuell wird so viel darüber berichtet, dass die Realität gar nicht mehr beachtet wird. Das Thema hat eine immense Bedeutung bekommen, dabei handelt es sich doch erst mal noch um einen kleinen Prozentsatz.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren Veggie-Burgern im Fleischerhandwerk gemacht?
Aus unserer Sicht ist das Fleischerhandwerk viel zu zurückhaltend und greift das Thema Fleischfrei noch zu wenig auf. Dabei wissen wir aus Erfahrung, dass unsere Veggie-Burger – sowohl der Sunny Veggie Burger als auch der Mediterranean Veggie Burger – sehr gut laufen, insbesondere als Ergänzung zum bestehenden Segment als Zusatzumsatz.

Planen Sie, weitere Fleischalternativen einzuführen?
Sowohl unser Sunny Veggie Burger als auch der Mediterranean Veggie Burger wachsen rasant und haben enormen Zulauf. Daneben haben wir insbesondere für die Betriebsverpflegung den Two Soul Burger eingeführt: 50 Prozent Champignons, 50 Prozent Rindfleisch – 100 Prozent Geschmack.

Welche Tipps geben Sie Fleischern zur Vermarktung solcher Produkte?
Aktuell muss er da nicht besonders viel tun, denn die Kundschaft ist diesem Thema gegenüber derzeit sehr aufgeschlossen. Daher einfach die Basics beachten: ordentliche, leckere Produktabbildung mit klarer und einfacher Botschaft, dazu ein sehr gutes Produkt – fertig.

Interview Markus Wissing – Vertriebsleiter Vegafit

Portraitaufnahme Markus Wissing - Vertriebsleiter der Firma Vegafit

©Vegafit

„Bedeutung pflanzenbasierter Fleischalternativen wird steigen“

Markus Wissing ist Vertriebsleiter bei Vegafit. Das Unternehmen mit Sitz im niederländischen Deventer ist spezialisiert auf die Produktion von Lebensmittelprodukten ohne tierische Anteile.

Herr Wissing, ist Fleisch essen heute „böse“?
Grundsätzlich ist Fleisch essen natürlich nicht böse, es geht vielmehr um Wertigkeit und Nachhaltigkeit. Getreu dem Motto „Weniger ist mehr“ sollte Fleisch wieder die Wertschätzung erhalten, die diesem Lebensmittel zusteht. Wir müssen zurück zur Idee des „Sonntagsbratens“. Extrem günstiges Fleisch, welches in Massenproduktion hergestellt wird mit all den negativen Auswirkungen für Umwelt, Tierwohl und Klima, ist stark zu hinterfragen.

Vegafit ist Hersteller pflanzenbasierter Fleischalternativen: Wie entwickelt sich der Markt?
Die Bedeutung pflanzenbasierter Fleischalternativen wird weiter steigen. Das Entwicklungspotenzial dieser Produktgruppe ist extrem groß. Der Weg von der Nische zum Massenmarkt zeichnet sich bereits jetzt ab.

Und welches Potenzial sehen Sie für sogenanntes In-vitro-Fleisch?
Derzeit ist In-vitro Fleisch noch keine Alternative. Die Produktion ist extrem teuer und aufwendig. Sollten die Kosten auf Sicht stark reduziert werden können, wäre das eine weitere Alternative, die Menschen auf der Erde mit Proteinen satt zu kriegen.

Was ist Ihre Zielgruppe?
Wir sprechen grundsätzlich alle Menschen an. Es geht darum, schmackhafte Alternativen zu Fleisch anzubieten, sowohl für Veganer als auch für Fleischesser. Es geht um den gleichen Ansatz wie bei Butter oder Margarine. Beide haben den gleichen Zweck, nur ist das eine Produkt tierischen und das andere pflanzlichen Ursprungs.

Warum kann es auch für Fleischer-Fachgeschäfte sinnvoll sein, vegetarische bzw. vegane Produkte anzubieten?
Die Nachfrage steigt und es gibt immer mehr Menschen, die zum Beispiel zum BBQ auch eine Alternative haben wollen, die über klassisches Gemüse hinausgeht. Pflanzliche Alternativen werden derzeit noch ausschließlich im Einzelhandel gekauft. Warum nicht den kompletten Einkauf von Fleisch und „Vleisch“ beim Fleischer erledigen? Auch beim Catering werden pflanzliche Alternativen immer gefragter.

Welche Produkte kommen Ihrer Erfahrung nach bei Fleischerkunden an?
Definitiv sind das unsere veganen Burgerscheiben, die sind nicht nur zum Grillen gefragt. Des Weiteren kommen unsere panierten Klassiker, wie Knusperschnitzel und Nuggets, sehr gut an.

Welche Tipps geben Sie Fleischern zur Vermarktung von Fleischalternativen?
Die Fleischer sollten offen und mutig sein! Der Markt wächst, und es wäre doch schade, wenn andere das Geschäft mit pflanzlichen Alternativen alleine machten. Die Artikel können das Sortiment des Fleischer-Fachgeschäfts sehr gut ergänzen und stellen keine Konkurrenz dar.

print