Er schwört auf „Soul-Food“
Jörn Gerwinat aus dem norddeutschen Langwedel wettet: Langfristig unterliegt jedes „Mode-Steak“ einer bodenständigen, soliden Bratwurst. Die aber erfindet und vermarktet er immer wieder neu.
Pragmatisch, hemdsärmelig – und ein Macher. So zeigt sich Jörn Gerwinat aus dem nahe Bremen gelegenen Langwedel im Interview mit dem Gilde-Magazin. Der Inhaber der dortigen „Landschlachterei“ beschreibt sich selbst so: „Ich bin lieber Metzger als Verkäufer.“ Und das glaubt man ihm sofort. Er schwört auf sein Handwerk – und eine Vielzahl regionaler Spezialitäten sowie traditionelle Klassiker. Dry Aged beispielsweise sucht man bei ihm vergebens. „Der Zug ist abgefahren“ meint der 49-Jährige. Und hier, auf dem flachen Land, sei das ohnehin eher exquisit als angesagt. Stattdessen setzt er vor allem auf allerlei Hausmannskost, begeistert sich für etwas – eigentlich – völlig „normales“: Bacon. An sich sei das ja kein Hexenwerk, sagt er. Und doch hat er sich gerade damit in der Barbecueszene einen Namen gemacht, manche Internetseiten sehen in ihm sogar den „Godfather of Bacon“. Warum? „Jeder grillt damit, aber keiner macht Bacon zum Thema“, erklärt er, weshalb er sich auf dieses Produkt spezialisierte.
Gegenüber der großindustriell hergestellten Massenware weiß er, sich abzugrenzen: „Ich spritze kein Wasser hinein, sondern mache den bis heute so, wie ich es seinerzeit von meinem Opa lernte“, verspricht er. Die hausgemachten Suppen schwanken zwischen Tradition (Linseneintopf) und Länderküche (Soljanka) bis hin zu Innovativem (Gyrossuppe, angeschwitzt in einer sahnigen Käsesauce). Ebenso breit das Spektrum seiner Würste: „Da steckt viel Liebe zum Handwerk drin“, nennt er sein Erfolgsrezept. Das Angebot ist kreativ: Käsekrainer, Schlesische Weißwurst, Domweih-Bratwürste – um nur einige Beispiele zu nennen. Mit letzteren knüpft er an das alljährlich stattfindende, sechstägige Volksfest im rund acht Kilometer entfernten Verden an der Aller an. Auf ihm war seine Fleischerei jahrzehntelang mit einem großen Imbisswagen präsent und verkaufte Domweih-Würste wie geschnitten Brot. „Meine Eltern und Großeltern hatten bis zu vier Imbisswägen im Einsatz und klapperten damit praktisch jedes Schützenfest ab“, blickt er zurück. Anfangs habe er diese Zusatzumsätze noch mitgenommen. Dann aber rächte es sich, dass er sein Leben „24/7“ nur für die Metzgerei führte: Herzinfarkt. „Das war ein Einschnitt“, nahm er die Warnung seines Körpers ernst. Er trat kürzer, stellte den Partyservice komplett ein.
„Nach 30 Jahren hatte ich zum ersten Mal die Wochenenden frei“, sagt er heute nicht ohne Stolz und ergänzt: „Es gibt ein Leben außerhalb der Fleischerei.“ Vielleicht auch mit dieser Erfahrung spricht er mehrfach über für ihn „ehrliches Soul-Food“ und denkt an Heimeliges wie Bratwurst, Rinderroulade und Gulasch. Manche Publikumsmedien würden alles und jenes an Grillgut in den Himmel loben, „doch die Barbecueszene ist an ihrem Höhepunkt angekommen“, sieht er Grenzen erreicht.
Der Verkaufswagen des Metzgers ist an vier Tagen die Woche unterwegs. In der ländlich geprägten Region funktioniert das bestens.
Mobiles Ladengeschäft
Was er noch neben seinem Ladengeschäft mitnimmt, sind die Präsenzen seines Verkaufswagens außerhalb Langwedels. Jeden Samstag steht sein mobiles Geschäft auf dem Verdener Wochenmarkt, an drei anderen Tagen an „Stellen, die sich im Laufe der Zeit so heraus kristallisierten“. Was kryptisch klingt, waren früher zum Beispiel Präsenzen neben einem Dorfbäcker, „den es heute schon hier und da nicht mehr gibt. Aber die Örtlichkeiten sind gelernt und die Leute kommen weiterhin“, schätzt er seine treue Stammkundschaft – und lobt seine Angestellten: „Der Erfolg der Firma steht und fällt mit meinen Mitarbeitern.“ Ganz der Unternehmer, hält Gerwinat stets Augen und Ohren offen, um mit neuen – aber immer bodenständigen – Kreationen seine Kunden zu überraschen.
Im Gespräch mit einer 20-Jährigen, die beruflich in den im Nachbarort ansässigen Landwirtschaftsbetrieb ihrer Eltern einsteigt, berichtete ihm diese von ihrem neuen Geschäftsmodell: dem hektarweisen Anbau diverser Knoblauchsorten, um dann daraus Pesto und Senf zu produzieren. Da hatte der Metzger eine Idee: Knoblauch- Bratwürste, für die er die Blüten der Gewürzpflanzen benutzt. Doch jeden Trend will er nicht (mehr) mitmachen. „Es gab mal eine richtige Hysterie um Glutamat“, blickt er auf eine Zeit zurück, in der nahezu alle Medien über den zugelassenen Zusatzstoff schlecht berichteten. Also habe die Fleischerei den Umfragen geglaubt und den Zusatzstoff aus ihren Rezepturen verbannt. „Mit dem Ergebnis, dass der Hälfte unserer Kunden der typische Geschmack fehlte und wir das Experiment schnell wieder beendeten“, sagt er. Ebenso hadert er mit dem allgegenwärtigem „Plastik-Bashing“, das manchmal durchaus ideologiegetrieben stattfindet.
„Wir stellen eines der sensibelsten Lebensmittelprodukte überhaupt her. Für diese besitzen Kunststoffverpackungen nun mal sehr viele gute Eigenschaften.“
Internetshop: In der Barbecueszene ist Gerwinat für seinen Bacon bekannt. Seine Fans bestellen auf seiner Homepage, bezahlen online und erhalten die Ware zeitnah.
Bestseller: Mit der Domweih-Bratwurst holt er sich das bekannte „Domweih“-Volksfest aus dem benachbarten Verden an der Aller in seine Verkaufstheken.
Internet und Facebook
In seinem Internetshop ist Kunststoff ebenfalls weiterhin unerlässlich – etwa, wenn er den eingeschweißten Bacon verschickt, den er regelmäßig auf seiner Facebookseite bewirbt. Inzwischen hat die Landschlachterei mehr als 4.000 Follower (mehr zum Thema soziale Medien und E-Commerce online). Fleißig trommeln er und sein Sohn Max im Netz besonders dann, wenn sie wieder einmal gemeinsam auf der Pirsch waren und es die entsprechenden Spezialitäten zu kaufen gibt. „Wild auf dem Grill ist bei immer mehr Menschen tatsächlich ein Thema“, berichtet Jörn Gerwinat, „der reine Braten ist heutzutage passé“. Vater und Sohn sind inzwischen ebenso in der Wurstproduktion ein Team. Der 20-jährige Geselle möchte die vierte Generation des Betriebs stellen. Die Schuhe sind groß: Jörn war der zweitbeste Fleischerazubi Deutschlands, mit 23 Meister und seit 2017 Fleischsommelier. Seine Frau Kathy, für ihn die „gute Seele des Betriebs“, unterstützt im Büro genauso wie in Herstellung und Verkauf.
Auch wenn Gerwinat als Selbstständiger einkaufen kann, wo er will: Die Zusammenarbeit mit der Fleischer-Einkauf AG in Bremen ist für ihn eine wichtige Basis seines Erfolgs. „Ich bekomme hier nahezu alles, was ich brauche und das mit äußerst kurzfristigen Lieferzeiten.“ Wenn freitags feststehe, dass es bestes Wochenend-Grillwetter geben wird, dann bekomme er noch samstags seine Bestellung angeliefert.
Sohn Max will die Erfolgsgeschichte des Familienbetriebs fortschreiben. Tatsächlich steht die Metzgerei bei Google aktuell mit einer Bewertung von 4,9 (von maximal 5,0).
Facebook und Internetshop: Warum Jörn Gerwinat auf beides setzt
Soziale Medien statt Tageszeitung und Bestellung via Internetshop: Jörn Gerwinat steht der Digitalbranche aufgeschlossen gegenüber. Für ihn ist beides inzwischen unverzichtbar.
„Ohne die sozialen Medien geht es nicht mehr“, stellt Fleischermeister Jörn Gerwinat aus Langwedel (Kreis Verden/Aller) fest, wenn es um die Frage des Marketings für seinen Betrieb geht. Tatsächlich hat er es mit mehr als 4.000 Followern bei Facebook auf eine für die Branche beachtliche Größe geschafft. „Das resultiert auch daraus, dass ich in der Barbecueszene sehr gut vernetzt und auf vielen Blogs präsent bin“, sagt er. So seien viele Kontakte entstanden, von denen er bis heute profitiere.
Perfekt inszenierte Bilder
Facebook nutzt er ebenso für bezahlte Werbung. Im Gegensatz dazu hat er die Anzeigen bei der Tageszeitung komplett eingestellt: „Von den 200 Euro, die ein kleines Inserat kostet, kam nie etwas zurück“, zeigt er sich enttäuscht. Im Netz gebe es hingegen sofort Reaktionen. Vor allem dann, wenn er seine Leckereien wie beispielsweise Hausmacher Knipp (eine rund um Bremen bekannte Grützwurst), die selbst gemachte Gyrossuppe oder die frisch aufgehängten Opas Leberwürste entsprechend in Szene setzt. Hierfür wählt er Fotos mit angerichteten Menüs, statt nur auf Bilder aus der Theke. Den Besuchern läuft so sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammen – die Kommentare sprechen eine eindeutige Sprache.
Internetverkauf für das Basissortiment
Gerwinat hat auf seiner Webseite in einen Internetshop investiert. „Zugegeben, wir fahren den noch auf sehr niedrigem Niveau“, sagt er zurückhaltend. Tatsächlich bietet er hier nur Wurst-, Suppen- und Fertiggerichte-Konserven an und der beliebte Bacon darf natürlich nicht fehlen. Kühlpflichtige Artikel sucht man jedoch vergebens. „Der Aufwand ist immens“, begründet er, „und die Kühlkette ist ein sensibles Thema“.
Hält die Kühlkette?
Wenn Pakete, aus welchen Gründen auch immer, in der Lieferkette doch irgendwo ein ganzes Wochenende lang herumstünden, dann sei die Gefahr hoch, dass die Ware nicht mehr mit der notwendigen Temperatur beim Kunden ankäme. „Das gibt sofort eine schlechte Bewertung und deshalb will ich in dieses Geschäft gar nicht erst einsteigen“, zeigt er sich sehr klar. Macht nichts – es läuft auch so. Vor allem bayrische Konsumenten würden bei ihm gerne die heimische Pinkelwurst bestellen – und zahlen oft per PayPal. Mit dem Zahlungsdienstleister hat er einen entsprechenden Akzeptanzvertrag abgeschlossen. Die Bezahlmethode ist inzwischen Standard, was Netzbestellungen betrifft – und sowohl für Verbraucher, als auch Händler deutlich bequemer und schneller als etwa eine Überweisung.
Text: Axel Stefan Sonntag
Bildernachweis: Reinhard Rosendahl