Der „Fernsehfleischer“
Myke Schumburg stellt 95 Prozent seiner Produkte selbst her – und macht seine Fleischerei zur Fernsehkulisse.
Wer auf der Bundesstraße 184 zwischen Dessau und Magdeburg unterwegs ist, dem sticht an den Ortseingängen der 620-Seelen-Gemeinde Menz jeweils ein Großplakat der Fleischerei Schumburg ins Auge. Doch ein saftiges Eisbein oder ein krosses Schnitzel sind hier nicht abgebildet. „Koch gesucht“, heißt es nüchtern. Zu geregelten Arbeitszeiten bis maximal 19 Uhr, mit freiem Sonntag und Montag, so das Versprechen des Mittfünfzigers Myke Schumburg.
Fleisch und Wurst stehen im Vordergrund. Doch auf dem Land profiliert sich Schumburg auch als Nahversorger – mit Molkereiprodukten, Backwaren und einigen Spirituosen.
Meisterbrief mit 21 Jahren
Ein Schicksalsschlag zwang ihn früh dazu, auf eigenen Beinen stehen zu müssen. Sein Vater Otto-Jürgen Schumburg war Motorbootrennfahrer und Mitglied der DDR-Nationalmannschaft. Doch bei einem internationalen Rennen 1981 auf der Donau verunglückte er mit nur 44 Jahren tödlich. Für den damals 17-jährigen Sohn, der sich gerade zum Fleischer ausbilden ließ, galt es an der Seite seiner Mutter Siegrid in den Betrieb mit einzusteigen. Das tat er – und hatte mit nur 21 Jahren seinen Meisterbrief in der Tasche. Damit war er der jüngste Fleischermeister der Region.
Heute führt er zwei Filialen: die seit Jahrzehnten bestehende in Menz und die ein paar Kilometer weiter entfernt gelegene in Gerwisch. Rund zwei Millionen Euro Jahresumsatz erwirtschaften beide Standorte. In der Produktion vertraut er auf so manche, seit Jahrzehnten gut gehütete Familienrezeptur. Wie beispielsweise die im Weihnachtsgeschäft angebotene Schlesische Weißwurst. Eine besondere Spezialität nach dem Rezept seiner Großeltern. Doch im Vergleich zum bayrischen Pendant, das ursprünglich auch Kalbfleisch enthält, stellt Schumburg sie ausschließlich aus Schweinefleisch her. Die Konsistenz sei so stabiler, erklärt er – und schwört auf Zitrone und Petersilie als wichtige Zutaten. „Aber mehr erzähle ich nicht“, schmunzelt er.
Trotzdem: Sein Angebot bleibt am Puls der Zeit. Zum Beispiel mit der würzigen Grillwurst „Thriller“, bei der sich schon alleine aufgrund des Namens ein Verkaufsgespräch ergibt. Vor vier Jahren profilierte er sich mit französischem Premiumjungbullenfleisch, zusätzlich mit Spezialitäten vom schottischen Highlandrind. Das Fleisch der Rinderrasse Limousin erhält er vorgereift und empfiehlt es besonders zum Grillen. Schon seit einigen Jahrzehnten verarbeitet er Sauenfleisch in seiner Wurst: „Das ist einfach reifer“, zeigt sich der Metzgermeister überzeugt. Zusätzlich sind Kikok-Maishähnchen im Angebot.
Dass ein Großteil der Tiere, die das 30-köpfige Team vermarktet, unter besten Haltungsbedingungen aufwuchs, ist für ihn selbstverständlich.
Und dafür setzt er auf namhafte Lieferanten und Herkunftsversprechen: Rindfleisch und -Spezialitäten bestellt er beim Fleischer-Dienst Braunschweig, einige Teile bezieht er zusätzlich auch vom Schlachthof in Halberstadt.
Mit handwerklich selbst hergestellten Spezialitäten aus besten Rohwaren weiß das insgesamt 30-köpfige Team die Kunden zu überzeugen.
Kaninchen aus dem Ort
Die Weihnachtsgeflügel-Spezialitäten wachsen in Freilandhaltung ein paar Kilometer weiter auf. „Die Kaninchen leben sogar nur zwei Höfe weiter.“ Rund zwei Tonnen Fleisch pro Woche verarbeitet das Team. 95 Prozent des Angebots sind Eigenkreationen. Einen kräftigen Nachfrageschub brachte die Pandemie den zehn Sorten haltbarer Wurst im Glas, von denen der Metzger durchschnittlich hundert Kilogramm pro Woche produziert.
Kurzzeitig ging hier die Ware zur Neige: „Die Kunden haben die Glasware gehamstert“, erinnert sich Schumburg an ein für alle im Handel außergewöhnliches Frühjahr 2020 zurück. Als er die hochpreisigen Teile französischer und schottischer Rinder ins Sortiment aufnahm, hatte er zunächst Bedenken, ob diese manch einem zu teuer sein könnten. „Aber ich stellte fest, dass die Kunden bereit sind, für Qualität mehr zu bezahlen.“ Hingegen könne er bei einer reinen Vermarktung über den Preis nur verlieren. Zunächst testete der Betrieb bei seinen Grill- und Weinevents die Resonanz des Premiumfleisches – und war positiv überrascht. Das lässt für sein nächstes, großes Ziel hoffen: „Ich will einen Mindestlohn von um die 15 Euro etablieren und damit weg von den unsäglichen Diskussionen in unserer Branche. Auch wenn das schwer wird und wir es nur mit höheren Margen und höherwertigen Produkten erreichen können.“
Überhaupt will Schumburg, dass sich seine Belegschaft bei ihm wohlfühlt. Alljährlich findet ein Ausflug statt, vor Corona sogar mit Übernachtungen. Eine Krankenkasse zeichnete ihn zum zweiten Mal für eine engagierte Gesundheitsförderung aus. Dazu ließ er ein Jahr lang den Gesundheitszustand seiner Mitarbeiter mittels Analysetools, wie Cardio-Scan oder Venen-Screening überprüfen.
Die Krankenkasse lobt: Die Kontrollen hätten ergeben, dass die Metzgerei „nicht nur gesunde und motivierte Mitarbeiter hat, sondern aufgrund ihrer Aktivitäten auch wirtschaftlicher als ähnliche Unternehmen arbeitet“.
Blick in das Kühlhaus: Schumburg produziert fast sein gesamtes Angebot selbst. Zu Beginn der Pandemie hamsterten die Kunden seine Wurstkonserven im Glas.
Es muss nicht immer Paprika sein: Die Hähnchenspieße veredelt das Team mit Ananas und Aprikosen. Ein Beweis für den Ideenreichtum des Fleischerhandwerks.
Kulisse fürs Fernsehen
Neben seinem täglichen Geschäft weiß er um die Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit. Eine MDR-Reporterin steuert seine Laden auf ihrem Weg ins Landesfunkhaus Magdeburg regelmäßig an und ist von der Qualität begeistert. „Da erhielt ich einen Anruf, ob ich etwas über die Herstellung der Produkte zeigen könnte. Das habe ich gern gemacht.“ Zusätzlich dient seine Metzgerei als Kulisse für Interviews mit den Experten der Stiftung Warentest, etwa zu verpackten Fleisch und Wurstprodukten aus den Supermärkten.
„Das ist eine hervorragende PR für das Fleischerhandwerk“, schlussfolgert Schumburg aus den Gesprächen – und wurde so in der Region noch bekannter. Seither nennen ihn einige den „Fernsehfleischer“. Das alles lässt ihn nicht mehr los. Eine professionelle Videoagentur überzeugte ihn davon, mit lockeren Clips Arbeitnehmer anzusprechen, die sich beruflich – bei ihm – verbessern wollen.
Zusätzlich stellten die eigenen Mitarbeiter ihr Unternehmen mitsamt ihrem Arbeitsplatz authentisch dar. Seit Juli dieses Jahres stehen die Videos im Netz – und er profitiert: „Ich führe jeden Tag ein, zwei Bewerbergespräche“. Im Gegensatz dazu hat sich auf die überdimensionalen Plakate an den Ortseingängen kein einziger gemeldet. Eine gute Werbung sind sie aber allemal.
Ob Hirschrücken aus heimischen Wäldern oder selbst hergestellte Rinderbratwurst: Die traditionsreiche Metzgerei bietet viele Spezialitäten, die Kunden woanders so nicht erhalten.
Konzentrierte Beratung, erfolgreiches Catering
Alltäglich ist es nicht, dass eine Metzgerei direkt neben ihrem Ladengeschäft noch einen separaten Präsentationsraum besitzt. Die Fleischerei Schumburg plante hier ursprünglich eine gläserne Produktion für ihre Catering-Bestellungen. Die Idee: Mit voller Transparenz sollten die Kunden einen Einblick in die Zubereitung erhalten. Doch weil das Team vom Catering mit drei Leuten recht klein ist und der Bereich überhaupt nur auf etwa zehn Prozent Umsatzanteil kommt, änderte Inhaber Myke Schumburg sein Vorhaben.
Ruhige Atmosphäre
Jetzt nutzt er den Raum mitsamt der vom Verkauf abgetrennten, ruhigen Atmosphäre dazu, seine Catering-Dienste in einem persönlichen Gespräch den Kunden näher zu bringen – kleine Kostproben inklusive. Dafür investiert er viel Zeit. Mit dabei ist in der Regel sein Bruder Tammo, der den Bereich leitet und eine Köchin. Ein Regal präsentiert Kochmützen, Frischhalteboxen und Besteck in dekorativer Form. Seit kurzem ergänzt ein riesiger Flachbildschirm den Raum – und zeigt Beispiele aus der Produktion. Auch ein umfängliches Fotobuch mit Plattenbeispielen vermittelt das handwerkliche Können.
Klasse vor Masse
Auf Masse aber zielt Myke Schumburg nicht ab: „Das, was hier an Aufträgen rein kommt, muss ich ja vernünftig umsetzen können“, lautet die Devise. Und so lehnte er zum diesjährigen Schulbeginn Aufträge ab. Dass der Unternehmer nicht all seine Kraft ins Catering steckt, erwies sich in der Pandemie als vorteilhaft. „Wir konnten den Umsatzverlust über den Ladenverkauf nicht nur kompensieren, sondern haben sogar den Gesamtumsatz durch die zusätzlichen Einkäufe gesteigert“, zeigt sich Schumburg zufrieden. Trotzdem: Mittel- bis langfristig schließt er ein solides Wachstum nicht aus, denn immerhin empfehlen ihn seine Kunden mittlerweile bis nach Rügen oder Bielefeld weiter. Doch in der Regel liegt der Einzugsbereich fürs Catering bei 50 Kilometer. Darunter fällt dann aber schon die Landeshauptstadt Magdeburg und die drittgrößte Stadt in Sachsen-Anhalt, Dessau-Roßlau. Jedoch: „Die Prämisse ist, dass wir dazu die geeigneten Mitarbeiter haben müssen“, schränkt er ein.
Prominente Kunden
Zu den Catering-Aufträgen der Fleischerei Schumburg zählen auch die bekannter Persönlichkeiten. In der Region leben prominente Sportler wie Täve Schur, ein Sportidol aus dem Radsport. Ende der 50er-Jahre war er zweifacher Weltmeister auf dem Rennrad. Mittlerweile ist er über 80 Jahre alt und seit Jahrzehnten treuer Stammkunde. Auch die Fußballer des Drittligisten 1. FC Magdeburg – einstiger Europapokal-Sieger der DDR – bestellen für so manche Gartenpartys ihre Grillwürste.
Torsten Holler